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"Eine Seele gerettet"

(aus: "infodienst- Das Magazin für kultureller Bildung")

Der Wahnsinn hat eine wunderbare Mischung und dauert 13 Tage. Zwei professionelle Filmemacher kommen an 60 Stunden nachmittags und am Wochenende ganztags mit Schülern zusammen. Gemeinsam planen und realisieren sie einen bis zu 15-minütigen Kurzfilm. Inhalt und Umsetzung sind so lebendig und vielfältig wie die teilnehmenden Teenager; im Cinema Youth Club werden ihren Talenten entsprechend die Schwerpunkte gesetzt. Sie besetzen nicht nur möglichst alle Positionen im Team und lernen eine Vielzahl neuer Berufsmöglichkeiten kennen, sie bestimmen auch den Inhalt, den sie unter Anleitung selbstständig umsetzen werden. Ihre unterschiedlichen Biografien und Weltsichten sind der Ausgangsstoff: Welches Thema? Welche Form? Welche Ästhetik? Welche Aussage? Bei der Auseinandersetzung mit sich selbst und den anderen beginnt eine intensive dynamische Entwicklung.

In einer Gruppe waren zwei Kopftuch tragende Mädchen, deren Erfahrungen die Gemüter am meisten erregten. Wir beschlossen, das mit einem Film über junge Freunde zu reflektieren, die versuchen, einen Schüleraustausch mit einem arabischen Land zu organisieren und dabei auf allerhand Widerstände stoßen. Während in der Projektgruppe die Assoziationskette Kopftuch=Gewalt=Terror von Mitschülern offen ausgesprochen wurde, äußerte sie sich außerhalb durch Mobbing. Im geschützten Raum des Projekts entwickelte sich eine tolle Diskussion über Islamophobie. Die Recherche floss in den Film ein. Eine der beiden Muslima schrieb mir später, dass sich Türen geöffnet und Verhaltensweisen geändert hätten, »alle ... haben einen anderen Eindruck von uns bekommen, wegen eines Films!«

Die Wirkung des Cinema Youth Clubs reicht weit über die Projektdauer hinaus: Schüler machen jetzt ein Kamerapraktikum; Eltern schreiben, dass sie ihr »Computer-Kind« noch nie so glücklich und motiviert erlebt haben. Eine Schule organisierte mehrere Vorführungen, um die an ihrer Schule gedrehten »Social Spots« zum Thema Drogenkonsum möglichst vielen Schülern zu zeigen ...

Die Arbeit mit den Jugendlichen ist viel unmittelbarer und ungefilterter als mit Erwachsenen. Sie fasziniert mich, weil sie so sinnvoll ist. 13- bis 18-Jährige sind dabei, Lebensweisen aufzusaugen. Sie versuchen, ihren Platz in der Welt zu finden. Viele machen sich Sorgen um die Zukunft und fragen sich, was sie mit ihrem Leben anfangen sollen. Umso wichtiger ist es für sie, wenn Leute von außerhalb an die Schule kommen, ihren Horizont erweitern und ihre Persönlichkeitsbildung stärken.

Es geht nicht nur um Medienkompetenz, die in den Schulen meist zu kurz kommt, es geht um die Jugendlichen! Eine Direktorin sagte: »Ihr habt eine Seele gerettet.« Regelmäßig brillieren so genannte Problemkinder: Sitzenbleiber, an die keiner mehr glaubt – inklusive sie selbst, Vernachlässigte oder Schulschwänzer. Weil die Jugendlichen ernst genommen werden und es auf sie ankommt, weil sie sich als aktive Gestalter erleben. In ihren Biografien und Eigenheiten gestärkt, müssen sie einander helfen, um die selbst gesteckten Ziele zu verfolgen. Die Gruppe muss Entscheidungen gemeinsam treffen, um voran zu kommen. Jeder muss seine Entscheidung begründen und die anderen überzeugen. Das hilft ihnen, die eigene Stimme zu finden, genau wie sie eine Bildsprache für den Inhalt entwickeln. Indem sie aktiv gestalten, um dem Zuschauer das Gewünschte zu vermitteln, entwickeln sie auch ihre Analysefähigkeit. Sie lernen, mit welchen Manipulationen Film arbeitet und sind fortan fähig, sie zu erkennen.

Die Gruppe ist so gut wie ihr schwächstes Glied. Nicht nur die Pflicht zur kreativen Improvisation schult fürs (Berufs-)Leben. Organisation gehört genauso dazu wie Geduld und Konzentration. Es ist ein ungeheurer Kraftakt, innerhalb von zwei Wochen einen Film zu machen. Und die Schüler meistern ihn zu ihrer eigenen Begeisterung. Vor der Premiere können sie kaum geradeaus laufen vor lauter Aufregung und Stolz. Eltern bekommen oftmals einen anderen Eindruck von ihren Kindern. Die Jugendlichen haben aus sich heraus etwas geschaffen. Das Ergebnis und die Resonanz bestärken sie darin, ihren Weg zu gehen.

Lillian Rosa, Filmemacherin und Gründerin des Cinema Youth Clubs

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